Blühende Steine - Anmerkungen zu einem Steingarten

Wenn ich gewusst hätte, als wie "steinig" sich unser Grundstück erweisen würde, hätte ich möglicherweise von dem Kauf Abstand genommen. An den Ausläufern des Vogelsberges gelegen ist in unserer Umgebung der Basalt vorherrschende Gesteinsart.  Dagegen ist im Prinzip nichts einzuwenden, zumal er in seiner gerade hier vorkommenden Ausprägung als so genannter Lungenbasalt, mit sehr löchriger, blasiger Struktur, ein besonders attraktiver Stein ist. Weniger angenehm ist sein Vorkommen in der Gartenerde, wo er sich heimtückisch gerade dort versteckt, wo gegraben werden soll. Das wird einem recht schmerzhaft bewusst, wenn man fröhlich seinen Spaten in die Erde rammt  und sich anschließend das Ellenbogengelenk kühlen muss.

Inzwischen habe ich mit den Steinen nicht nur meinen Frieden geschlossen – nein, ich sammle sie geradezu, lege Gartenwege aus flachen Feldsteinen an, stelle Basaltfindlinge auf, die den Frontlader des bäuerlichen Nachbarn in die Knie gezwungen haben, fasse damit unsere drei kleinen Teiche ein, die eigentlich nur die Bezeichnung Tümpel verdienen, und häufte sie bislang zu zwei Steingärten an. Bislang deshalb, weil ich mit weiteren liebäugele, da ich erkannt habe, dass selbst die problematischsten Gartenzonen immer noch ein hervorragender Standort für einen Steingarten sein können.

Die mit den Steinen verbundenen Anstrengungen verschafften mir, ich berichte es in aller Bescheidenheit und mit wehmütigem Stolz, eine Idealfigur mit dem, was gemeinhin als Waschbrettbauch bezeichnet wird. So wurde es zumindest von Freundinnen anerkennend vermerkt, was allerdings der Freundschaft zu deren Ehemännern nicht unbedingt zuträglich war. Man beachte aber die von mir gewählte Vergangenheitsform. "Die schönen Tage in Aranjuez sind nun zu Ende...". Die Natur lässt sich eben nur begrenzt und meist nur vorübergehend überlisten. "Natura abhorret vacuum"  Die Natur duldet kein Vakuum – und wer will es bestreiten, ein nicht vorhandener Bauch ist ein Vakuum.

So ganz unbedarft bin ich allerdings an das Steingartenthema nicht herangegangen. Bereits in meinem vorigen Garten hatte ich den ersten Versuch gestartet, der anfangs eigentlich auch ganz gut verlief, aber nach einigen Jahren unter mangelnder Pflege litt.  Hinzu kam das zu weiche Steinmaterial, ein Kalkstein, das sich durch Erosion langsam in Steinschutt verwandelte. Für meine heranwachsenden Kinder war es zweifellos kostenloser Ergänzungsunterricht über die Erde und was aus ihr werden wird, für den Steingarten erwies es sich aber als eine mittlere Katastrophe. Dieser Fehler kann sich mit Basalt nicht wiederholen.

Nun sind meine eigenen Erfahrungen oder mein bescheidenes Können alles andere als beispielhaft und nur bedingt zitierfähig. Das was ich an Fotos ausgewählt habe, spart verständlicherweise das Misslungene aus. Ein Teil meines Steingartens wirkt zudem ein wenig befremdlich, weil eher wie ein Hünengrab, weshalb sich Besucher die Frage nach dem darunter Liegenden nur mühsam verkneifen können. (Bild 1 Steingarten Gesamtansicht).

Aber die megalithische Topographie hat eine durchaus praktische Seite. Es lässt sich auf den Steinblöcken hervorragend herumkraxeln, um die Anlage zu pflegen. Die Möglichkeit, einen Steingarten betreten zu können ist ein Muss, wie ich an anderer Stelle noch anmerken werde, es sei denn, man beherrscht die Kunst des Schwebens. Da die Natur uns diese Gabe schnöde vorenthalten hat, ist  der Steingärtner dazu verdammt, sich überwiegend in kriechender Stellung vorwärts zu bewegen. Dabei ist er im Steinegewirr leicht zu übersehen. Er bearbeitet und genießt die Pflanzen sozusagen auf Augenhöhe. Eine Alternative, insbesondere für ältere Menschen (und ohne jegliches Augenzwinkern vermerkt) wären Tischgärten. Man stelle sich etwa in Brusthöhe eine kleine "Gebirgslandschaft" auf einem Beton- oder Stahltisch vor, so dass sich das Szenario aus Felsen und zwergigen Pflänzchen, die ihre wahre Schönheit ohnehin nur aus größter Nähe offenbaren, ohne Kreuzverbiegungen genießen lässt. Ich denke inzwischen ernsthaft über derartige Lösungen nach.

Wir nähern uns auf diesem kleinen, etwas gewundenen, sozusagen gebirgigen Pfad dem Charakter des Steingärtners.

Sind "Steingärtner" eine Sub-Spezies des Homo sapiens hortorum? Darf man sie tatsächlich den Gärtnern zuteilen oder doch eher den Sammlern von Briefmarken oder Nippes, die statt Zähnchen zu zählen oder mit dem Staubwedel zu fuchteln ihre Ordnungsfreude mit Puppenstubenpflanzen ausleben? (Bild 2 Senecio incanus ssp. carniolicus) Ich wage einen positiveren Vergleich, auch um mich selbst zu retten. Während der Stauden- und Gehölzgarten vielleicht dem Werk eines impressionistischen Malers gleicht, der mit kühnen, intuitiven Gesten eine berauschende Gartenvielfalt entwirft, entsteht unter den Händen des Steingärtners ein Stillleben, wie mit einem feinen Haarpinsel konturiert. Claude Monet wäre es vermutlich schwer gefallen, einen Steingarten zu malen. Maria Sibylla Merian dagegen nicht.

Steingärten sind introvertierter, kontemplativer als Staudengärten. Sie erfordern ein stilles Betrachten, oftmals ein Hinknien, um die Kostbarkeiten, die selbst im Erwachsenenstadium nicht größer als eine Kleinkinderfaust sind, aus der Nähe zu würdigen (Bild 3: Saxifraga). Dass die meisten dieser Pflanzenzwerge, wie das Wichteln häufig nachgesagt wird, missgelaunt und anwachs- sowie blühunwillig sind, erhöht die Schwierigkeit und damit den Reiz.  Der Staudengarten kennt wenige  Ausnahmen, die sich als Prinzessin auf der Erbse gebärden. Der Steingarten erhebt  dagegen  die Primadonna assoluta zum Regelfall. Die Misserfolge bei den Alpinen sind deshalb an der Tagesordnung. Die Frustrationsresistenz des Steingärtners muss somit recht ausgeprägt sein. Doch Pflanzenfreunde lieben ja bekanntlich die selbstquälerische Herausforderung.

Eine weitere Eigenschaft sollte dem Steingärtner völlig fremd sein: Nachlässigkeit. Der Begriff Laisser-faire ist ihm ein Gräuel. Die Pflege eines Steingartens erfordert nie ermüdende Wachsamkeit. Deshalb nennt ein Steingärtner ein Unkraut auch Unkraut und nicht beschönigend Wildkraut. Wild wird allenfalls der Steingärtner, wenn er es entdeckt. Alles was nicht in den Steingarten gehört, ist Feind und muss rigoros entfernt werden mit Stumpf und Stil und ohne jeden Funken Mitleid. Andernfalls öffnet er Invasoren, deren er nicht mehr Herr wird, die Pforten, was eine schmähliche Kapitulation zur Folge haben kann. Insoweit ist die Quecke das absolute Schreckgespenst eines jeden Steingärtners. An zweiter Stelle dürfte der Klee stehen. Von anderen Ausläufer treibenden oder üppigst Samen streuenden Unkräutern mag ich erst gar nicht reden, um meine Aggressionen in Grenzen zu halten.

Nun könnte man bei oberflächlicher Betrachtung zu dem Ergebnis kommen, der Steingärtner sei ein Ordnungsfanatiker.  Weit gefehlt! Die mag es unter ihnen zwar ebenso häufig geben wie unter den Staudengärtnern, aber besondere Ordnungsliebe ist keine der herausragenden Charaktereigenschaften. Im Gegenteil: der nach Vollkommenheit strebende (sie aber natürlich nie erreichende) Steingärtner wird stets bemüht sein, seinem Steingarten den Eindruck des Natürlichen, des Ungefähren abzuringen. Sind die Pflanzenwinzlinge über das Anwachsstadium hinaus gekommen, sollen sie sich die Steinnischen und Schründe, die Felsnasen und Höhlungen erobern, sie einspinnen, überwandern und besiedeln. (Bild 4: Minuartia Steine überwachsend). Was aber anrührt, ist die besondere Fürsorglichkeit des Steingärtners für zarte Pflanzenwesen (Bild 5 Petrocallis pyrenaica). Steingärtner sind schon was Besonderes. Vielleicht eine Spur kauziger als „normale“ Gärtner, aber dennoch ausgesprochen gutartige Menschen.

 

Weiter geht es im Kapitel: Steine und Garten gehören zusammen.

Letzte Aktualisierung: 23.2.2015  -  © Garten-pur GbR