Berichte aus einem unvollkommenen Garten 5: Räume und Wege - Die Seele des Gartens

"Sonnenschein auf grünem Rasen,
Krokus drinnen blau und blass'
und zwei Mädchenhände tauchen
Blumen pflückend in das Gras."
(Th. Storm)


Die zwar nicht geographische, aber gefühlte Mitte unseres Gartens ist eindeutig der Zierrasen in Form eines unregelmäßigen Ovals. Ich bekenne es freimütig: Ich mag gepflegte Rasenflächen und wenn sie sogar weitgehend unkrautfrei sind, liebe ich sie sehr. Sie sind der eigentliche Ruhepunkt eines Gartens. Für mich war es deshalb eine ganz natürliche und folgerichtige Entscheidung, die Anlage des Gartens von der Rasenfläche ausgehend zu planen.

Denn was ist die Seele eines Gartens? Sind es die Rosen? Oder das Farb- und Formenspiel der Stauden? Was ist mit den Gehölzen, den hohen, unnahbar wirkenden Tannen, mit der filigranen Verspieltheit einer Clematis, eines japanischen Ahorns? Wenn wir einen fremden Garten betreten, welcher Eindruck vermittelt sich am stärksten? Lässt uns innehalten und genauer schauen?

Es gibt wohl nichts Wunderbareres als ein vor Lebenslust und Daseinsfreude berstender Staudengarten an einem sonnigen Frühsommermorgen. Das sind Momente, in denen wir uns von der Atmosphäre des Gartens nicht losreißen können und die Alltagspflichten wie Bleigewichte an uns hängen. Es gibt auch nichts Edleres als ein Rosengarten auf seinem Höhepunkt im Juni. Es gibt nichts Sanfteres als ein die Sinne umschmeichelnder Fliederstrauch, wenn sein Duft von frühlingshafter Wärme durch den Garten getragen wird. Es gibt nichts Verschwenderischeres als einen Kirschbaum, der Blüten regnen lässt. Es gibt nichts Geheimnisvolleres als das modrige Gewisper zwischen Moosen, Farnen und Funkien im Schatten von Bäumen.

Und doch erscheint mir das alles nicht die Seele des Gartens. Staudenbeete haben etwas Beliebiges. Es ist eine Frage von Zeit, Geld und Geduld, ausgedehnte Staudenbeete anzulegen. Könner gestalten diese strukturiert und farborientiert, möglicherweise sogar – Hohe Schule des elitären Gartenstils – monochrom. Ebenso wenig ist es eine herausragende Leistung, eine Gehölzsammlung anzulegen, sei es aus Rhododendren, Ahornen oder Rosen. Allenfalls die Suche nach außergewöhnlichen, gar als verschollen geltenden Sorten bereitet noch Nervenkitzel. Auch ist die Raritätensammlung in meinem Gewächshaus oder in meinen Steingärten lediglich das Ergebnis von aufflammenden Leidenschaften und einer fleißigen Suche im Internet, das einem inzwischen fast jeden Pflanzenwunsch erfüllen kann. Die Seele des Gartens aber berührt das alles nicht.

Wenn ich an trüben Wintertagen Bildbände mit herrlichen Aufnahmen von Gärten durchblättere oder mir meine eigenen Gartenbesichtigungen überwiegend in England in Erinnerung rufe, fällt mir ein ganz besonderer Aspekt immer wieder auf, der mich zum Sehen und zum Denken zwingt: die Freiflächen des Gartens. Diese können in Rasen- und Kiesflächen, aber auch in Wegen bestehen, aber stets sind sie die trennenden und gleichzeitig verbindenden Elemente, vor allem aber sind sie Inseln der Ruhe, wo das Auge sich von der Formen- und Farbenvielfalt, von dem quirligen Durcheinander, von der Verschlungenheit üppigen Wachstums erholen darf und soll.

Wer sich berühmte Landschaftsparks vor Augen führt, bemerkt – möglicherweise unbewusst – die Ruhe, die von den weitläufigen Perspektiven ausgeht. Es ist nebensächlich, ob die Gehölzinseln aus Raritäten und Exoten bestehen (einzeln und für sich betrachtet allerdings wiederum nicht); wichtig allein ist das Gesamtbild, der Gesamtaspekt, die Seele des Parks. Den Landschaftspark von Schloss Schönbusch in der Nähe von Aschaffenburg, eine Schöpfung des Friedrich Ludwig von Sckell, hatte man im Laufe der Jahrhunderte sich selbst überlassen. Durch Wildwuchs verlor er seine Perspektiven und damit seine eigentliche Seele. Mit zunächst rabiat wirkenden Eingriffen wurde das inzwischen korrigiert.

Nun ist der kleine Garten eines Einfamilienhauses kein Landschaftspark. Und dennoch gilt für ihn ebenfalls, dass einem bis zur Halskrause vollgepackten Garten die Seele zu ersticken droht. Gleichgültig wie groß oder wie klein ein Garten ist: Er benötigt in meinen Augen Freiflächen in Form eines Rasenstücks sowie von klar erkennbaren Wegen. Während der Rasen die Augen auf die Mitte zieht, werden sie durch Wege in beabsichtigte Richtungen gelenkt. Ein Weg macht neugierig, denn er führt mich ja irgendwo hin. Ebenso trennen Wege und schaffen damit Abstand, sie können damit, wie der Rasen, Gegenpol zum Chaos der Pflanzenvielfalt sein.

Ich habe bei den Wegen meines Gartens einen verblüffenden Effekt festgestellt. Da ich diese Wege aus unbehauenen Basaltsteinen anlegte, ergaben sich mehr oder minder breite Fugen, in denen sich sehr rasch Sämlinge von Glockenblumen, Christrosen, Primeln, Alpenveilchen und von sonstigen erwünschten aber auch weniger geliebten Gartenbewohner ansiedelten. Bereits nach wenigen Jahren waren die Zwischenräume so zugewachsen, dass der Weg nur noch erahnbar war. Die Natur hatte ihre Hände ausgestreckt, um sich das zurückzuholen, was ich für meine Idee von ihr abgetrennt hatte. Der Weg war allmählich, geradezu schleichend assimiliert worden. Grün ging in Grün über. Was vorher abgegrenzt war, hatte sich nun verwoben. Dort sollte aber nun nach meinem Willen ein Weg sein. Nicht nur ein befestigter Untergrund, tragfähig für Mensch und Karre, sondern ein deutlich erkennbarer Pfad, als gut sichtbare Grenze zwischen zwei Staudenbeeten, eine Struktur und Perspektive gebende Markierung. Als ich die Fugen vom Wildwuchs befreit hatte, trat der gewollte Effekt wieder ein, sehr zum Vorteil der beiden Beete. Durch die Weg-Achse wurde die Aufmerksamkeit stärker als zuvor auf die beiderseits wachsenden Pflanzen gelenkt.

Derartiges hat sich in meinem Garten in außerordentlich harmloser Weise und in einem recht unbedeutenden Umfang ereignet. Dennoch vermitteln uns englische Hausgärten, so ihr Stil von uns als richtungsweisend verstanden wird, ein vergleichbares Bild: der trennende und damit akzentuierende Rasenstreifen oder Weg. Die englische "Border" schöpft einen wesentlichen Teil ihrer Schönheit aus eben diesem strengen Gegensatz.

Für mein ästhetisches Empfinden ist es der Höhepunkt der Gartenkultur, wenn sich um diese möglichst "fehlerfreie Ziergras-Steppe" Stauden- und Rosenbeete  gruppieren, die in ihrer Farbenpracht und Pflanzenstruktur so wild sein können, wie die Natur es vermag. An die Stelle des Rasen kann meinetwegen auch eine Kiesfläche, ein Sand- oder Plattenweg treten. Der bekannte, Clematiszüchter Christopher Lloyd, Herr auf Great Dixter, einem der berühmten englischen Landhausgärten, hat die aus ungemähten Wiesen bestehende "Wildnis", die seinen Garten bedrängten, durch einen breiten Streifen kurz geschorenen Grases abgegrenzt. Dort ungezähmte Natur, hier Staudenkostbarkeiten. Diese Trennung erhöhte die Aufmerksamkeit für die beiden gegensätzlichen Pole. Gleichzeitig hatte das Auge einen Ruhepunkt, um neue Kraft für die Staudenvielfalt zu schöpfen. Welch wundervoller Einfall für Gestaltung und Dramatik.

Obgleich ich ein ausgesprochen fauler Mensch bin – das Leben ließe sich bestens in einer Hängematte liegend genießen, wenn die Neugier einen nicht immer wieder hochtreiben würde – liegt mir der gepflegte Rasen doch sehr am Herzen. Ich bekenne mich sogar ausdrücklich zu diesem monokulturellen Teppich und bin mir auch nicht zu schade, ihn mehrmals im Jahr mit dem Stecher in der Hand nach Unkräutern abzusuchen. Mein Traum wäre ein englisches Bowling-Green, absolut plan gewalzt und von ganz feiner Gräserstruktur. Die klimatischen Verhältnisse lassen es leider nicht zu. Ebenso muss ich meinem Wunschtraum entsagen, meine Rasenfläche so zu mähen, dass sich durch die gegenläufigen Mähbahnen so herrliche Streifen ergeben. Wir kennen derartiges von Fußballfeldern aus dem Fernsehen. Die Engländer beherrschen diese Mähmethode perfekt.

Die bäuerliche Nachbarschaft verwundert meinen Rasenkult ein wenig. Nicht etwa, weil ich dem Unkraut zu Leibe rücke, sondern wegen des unsäglichen Luxus', einen Teil des Gartens als Rasenfläche zu vergeuden. Gärten haben nach der Meinung meines Umfelds in erster Linie praktisch zu sein und bestehen aus dem schieren Boden (selbstverständlich wildwuchsfrei!), hauptsächlich Nutzpflanzen und ein paar Zierstauden und Rosen, was hier alles mit dem Begriff "Stock" über einen Kamm geschoren wird. Sobald die Blüten dieser Stöcke jahreszeitlich bedingt Schwächen erkennen lassen, wird alles radikal bis zum Erdboden heruntergeschnitten. Auch scheut man sich nicht, hemmungslos zwischen ihnen zu graben und zu werkeln. Jedes einigermaßen seriöse Gartenbuch stuft diese Behandlungsmethoden als verwerflich, als geradezu naturlästerlich und schädlich für die Pflanzen ein. Aber weil die Nachbarn gar nicht wissen, dass es so etwas Überflüssiges wie Gartenbücher gibt, wachsen ihre Stauden höher, blühen üppiger und sehen deutlich gesünder aus. Das Gärtnerleben kann so fürchterlich ungerecht sein!

Erfreulicherweise paart sich der bäuerliche Pragmatismus mit einer ausreichenden Portion dörflicher Toleranz. Ich rede den Bauern nicht in die Viehzucht rein und dafür fragen sie mich nicht, ob man das ganze bunte Zeugs in den Beeten essen kann. Aber eine Verschwendung ist unser Garten in ihren Augen in jedem Fall. Man glaubte mich schon bekehrt, als ich um Tipps für den Anbau von Kartoffeln nachfragte. Die Ratschläge wollten kein Ende nehmen und wir wurden mit den unterschiedlichsten Saatkartoffeln beschenkt. Ich habe es nicht übers Herz gebracht, einzugestehen, dass ich die Kartoffeln lediglich zur Lockerung des Bodens und Vorbereitung eines Staudenbeetes setzen wollte. Also haben wir brav umgegraben und Kartoffeln gesetzt. Ging natürlich schief. In dem schweren, tonigen und vor allem kalten Boden entwickelten sich nur mickrige Knollen. Etwas größere waren von welchen Tieren auch immer angenagt oder gar zerfressen. Ich vermute allerdings, dass die Kartoffeln sich aus Gram verweigert hatten, da sie sich nicht ausreichend erwünscht sahen.

Nun gilt ein Zierrasen unter vielen Anhängern einer ökologisch orientierten Gartenkultur als Sünde wider den rechten Naturgeist. Es verbindet sich damit die Beobachtung einer vermeintlichen Armut an Tierarten infolge fehlender Wildblumen-Blüten. Das aber ist eine im wahrsten Sinn des Wortes recht oberflächliche Behauptung. Der englische Entomologe (Insektenforscher) Georg Ordish will festgestellt haben, dass Regenwürmer in Rasenflächen zahlreicher sind als in offenen Böden. Die umherhüpfenden Amseln bestätigen das. Weitere Bewohner sind Fadenwürmer, Milben, Spinnen, Insekten und Schnecken. Von Wühlmäusen und Maulwürfen wage ich in diesem Atemzug erst gar nicht zu sprechen. Aber sie lieben gepflegte Rasenflächen und können, sagen wir es mal so, stark verändernd auf die makellose Fläche einwirken. Was die Artenarmut vermuten lässt, ist das Fehlen der Falter, Bienen und Hummeln. Die aber finden doch ihren Tisch reich gedeckt nur wenige Zentimeter entfernt in den Staudenbeeten. Insofern ist jegliches schlechte Gewissen bei einem unkrautfreien Zierrasen absolut unangebracht.

Die Steinwege unseres Gartens ergaben sich aus einer Zwangsläufigkeit. Auf dem Grundstück befanden sich Reste von alten Stallungen, die aus Bruchsteinen errichtet worden waren. Zunächst standen wir ratlos vor diesem mannshohen Basalthaufen, der während der Baumaßnahme mittels Bagger mehrmals hin und her transportiert wurde, weil er immer im Weg war. Die Handwerker fluchten und empfahlen eine Entsorgung in einem nahegelegenen, aufgelassenen Steinbruch. Aber schließlich waren das unsere Steine, die zusammen mit dem Grundstück teuer bezahlt worden waren. Und ich liebe Steine.

Folglich blieb nichts anderes übriges, als die Steine zu verbauen. Da ohnehin Wege angelegt werden sollten, warum dann nicht aus Feldsteinen? Die Ratgeber am Gartenzaun drückten sich regelrecht die Nasen platt. Mit einer gewissen Häme wurde behauptete, der Boden müsse zunächst ausgekoffert werden. Alsdann wäre eine Schotterlage erforderlich, auf die eine Splittschicht aufzubringen sei. Sonst würden die Steine ein Leben lang wackeln. Und überhaupt sei alles andere Pfusch. Ich habe weder das eine getan noch hat sich das andere ergeben. Zwar haben ein paar Steine eine Zeit lang etwas unruhig gelegen, aber das hat sich im Laufe einiger Monate und nach etlichen Regenfällen und nach vielem Darübergelaufe völlig gegeben. Aber ein klein wenig beleidigt war man doch, weil die doch so gut gemeinten Ratschläge schnöde missachtet worden waren.

Inzwischen sind uns die Steine ausgegangen. Gerne möchte ich noch einen Weg vervollständigen, der in den Pappelwald führt. An Material herrscht in der Umgebung kein Mangel. Es ist halt nur sehr mühsam, die schweren Steine zu verladen und mit dem Auto heran zu karren. Figürlich, so meint meine Badezimmerwaage, wäre es hingegen arg von Vorteil.

Letzte Aktualisierung: 1.3.2005  -  © Garten-pur GbR