Entdeckungsgeschichte des Rhododendrons
Ein Garten ohne Geschichte oder ohne Geschichten ist ein teilweise stummer Garten. Er kann nur über das Heute erzählen, weiß aber wenig über das Woher seiner Bewohner. Die Historie der Pflanzen ist oftmals ebenso interessant, wie sie selbst es sind. Ziehen doch viele Gewächse ihr besonderes Geheimnis aus den Umständen ihrer Entdeckung oder der Exotik ihrer Herkunft. Es macht eben einen Unterschied, ob eine Pflanze „lediglich“ die verbesserte Ausgabe eines Wald- und Wiesenexemplars ist, der wir auf unseren Spaziergängen überall in der freien Natur oder in Gärten begegnen können oder ob sie unter abenteuerlichen Gefahren von verwegenen Pflanzenjägern zu uns gebracht wurde und wir, das ist das Besondere bei Rhododendron-Wildarten, ihre Entdeckungsgeschichte (wo und wann von wem gesammelt) im Einzelnen nachvollziehen können. Rosen identifizieren sich fast ausschließlich über ihre Züchter. Die Wildarten spielen eine recht bescheidene Rolle. Allzu viele sind es ohnehin nicht. Bei Rhododendren hingegen zählte man bisher über 1000 Arten und immer noch werden neue entdeckt. Die Erscheinungsformen sind dabei so vielgestaltig, wie bei kaum einem anderen Gewächs: von flach bleibenden, über den Boden kriechenden Sträuchlein bis hin zu 12 m hohen Bäumen (Bilder 5a + 5b). Tropische Varietäten, die zum Teil epiphytisch wachsen, aber ebenso Überlebenskünstler aus den unwirtlichen Regionen Alaskas oder der Kamtschatka (Bild 6). Sträucher mit unscheinbaren, ja sogar unansehnlichen Blütchen, wie auch stolze Gewächse mit einer Infloreszenz, die an Lilien erinnert (Bild 7) und sogar ähnlich wunderbar duftet (Bild 8) und die ein nahezu allumfassendes Farbspektrum haben, in dem lediglich das reine Blau vermisst wird.
Es klingt wie ein Treppenwitz der Weltgeschichte, dass wir viele unserer Gartenschätze, die wir nicht mehr missen möchten, politischen und militärischen Handlungen früherer Zeiten verdanken, die wir heute verwerflich finden. Es ist fraglich, ob diese Exoten auch dann zu uns gekommen wären, wenn die Geschichte anders verlaufen wäre. Die Gartenleidenschaft des englischen Adels und die Machtausdehnung des britischen Empires ergaben für uns Gartenliebhaber die heute glückliche Konstellation, dass Pflanzenexpeditionen ausgesandt wurden, um ständig neues Material für die Parks und Gewächshäuser heranzuschaffen. Unsummen wurden für diese Sehnsucht nach immer prächtigeren und artenreicheren Gärten ausgegeben und gipfelte in den ausgedehnten Parklandschaften und gewaltigen Gewächshäusern. In diese Zeit fiel die Geburtsstunde der zu Weltruhm gelangenden botanischen Gärten wie Kew und Edinburgh.
Den Zeitraum von 1843 bis 1950, in dem sich die Himalaja-Region, China und Tibet den westlichen Forschern allmählich öffneten, sollte man später das goldene Zeitalter der Pflanzenjäger nennen, weil vieles von dem, vielleicht sogar das meiste, was wir heute zu den „üblichen“ Gartenpflanzen zählen, aus diesem Gebiet stammt und von so berühmten Sammlern, wie Joseph Hooker, Robert Fortune, Reginald Farrer, Abbé Delavay, E.H. Wilson, Frank Kingdon Ward, Joseph Rock und etlichen weiteren, in Form von Samen und gepressten Specimen nach Europa gebracht wurde. Schon einige Jahre vorher hatten William Griffith und Nathaniel Wallich Pflanzenmaterial aus dem Himalaja nach England verschifft. Der ersten wirklich großen Sammelerfolge waren jedoch Robert Fortune in China und Joseph Hooker im Himalaja, vornehmlich Nepal und Sikkim, beschieden.
Es müssen Besessene gewesen sein, die für Ruhm und Geld sowie mit dem konkreten Auftrag „to collect seeds and plants of an ornamental or useful kind, not already cultivated in Great Britain“ in die Wildnis entsandt wurden – die RHS, Royal Horticultural Society, die Baumschulen Veitch und Vilmorin (letztere in Frankreich), und diverse private Sammler waren damals die Auftraggeber – , aber das allein dürfte als Motivation für die keineswegs ungefährlichen, in jedem Fall aber äußerst strapaziösen Reisen ausgereicht haben. Verbissen kämpften sich Jäger der noch unbekannten Schätze durch Urwälder und Bergregionen, trotzten Wind und Wetter, mussten abends, völlig erschöpft detaillierte Feldaufzeichnung anfertigen, Herbarien anlegen, Landkarten vervollständigen (einige hatten durchaus militärische Nebenaufträge) und sich zu alledem auch noch mit kriegerischen Stämmen oder fremdenfeindlichen Bevölkerungsgruppen auseinandersetzen, wobei es oft um Leib und Leben ging. Abbé Jean André Soulié, wir verdanken ihm, auf unser Thema bezogen, die Wildarten Rh. saluenense und Rh. souliei, wurde sogar 15 Tage lang von tibetanischen Mönchen zu Tode gefoltert.
Die Entbehrungen der Pflanzenjäger müssen überaus groß gewesen sein. Umso mehr ist die Leistung ihrer Sammel- und Registrierungstätigkeit wertzuschätzen, der sie mit größter Präzision nachgegangen sind. Nicht jeder hat das ebenso gesehen. Frank Kingdon Ward, Rh. wardii (Bild 9) ist nach ihm benannt, wurde in 1924 auf seiner Expeditionsreise vom Earl of Cawdor begleitet. Beide gingen sich offenbar nicht nur sehr bald, sondern auch recht gründlich auf die Nerven. Cawdor notierte: „Es macht mich völlig verrückt, hinter ihm herzulaufen. Alle drei Meter hält er an und bewegt sich auch kaum zwischendurch. In meinem ganzen Leben habe ich niemanden erlebt, der sich so langsam bewegt. Sollte ich je wieder in meinem Leben reisen, dann verdammt noch mal nicht mit einem Botaniker. Sie halten ständig an, um Unkraut anzugaffen...“. Ich glaube, wir Pflanzenfreunde können eher Kingdon Ward verstehen.
1926 veröffentlichte Kingdon Ward seinen Expeditionsbericht „Riddle of the Tsangpo Gorges“ (Das Rätsel der Tsangpo Schluchten). Überaus spannend zu lesen, berichtet er über seine Erlebnisse bei der Durchforschung der Wildnis dieses Bramaputra-Oberlaufs auf der tibetanischen Seite des Himalajas, östlich von Lhasa (in aktuellen Kartenwerken als Yarlung Zangbo Jiang bezeichnet). Wie anders betrachtet man seinen Rhododendron wardii – eine der schönsten Wildarten, die bei uns recht winterhart ist -, wenn sich anhand der Feldnummer nachvollziehen lässt, wo und wann der Samen gesammelt wurde. Weht nicht dann ein wenig der Wind von Tibets Höhen auch durch unseren Garten?
Das Abenteuer der Entdeckungen ist aber noch längst nicht vorbei. Pflanzenexpeditionen wurden auch noch vor wenigen Jahren durchgeführt, so zum Beispiel von der Sino-British Expedition to China (1981) oder die Sino-Scottish Expedition to North Yunnan (1992) und weitere fanden statt und sind auch für die Zukunft geplant. Etliche neue Rhododendren wurden gefunden, so zum Beispiel vor wenigen Jahren Rh. pachysanthum, deren Gartenwert noch nicht ausgelotet ist. Von den anderen Pflanzen soll erst gar nicht gesprochen werden, weil sonst der Rahmen dieser Abhandlung gesprengt würde.
Ein paar Namen, die kein Rhododendron-Liebhaber vergessen sollte:
Reginald Farrer
George Forrest
Robert Fortune
Joseph Hooker
Frank Ludlow
Joseph Rock
George Sheriff
E.H. Wilson
Abbé Delavay
Abbé Soulié
Letzte Aktualisierung: 20.2.2006 - © Garten-pur GbR