Das Ghetto
„Signor Antonio, viel und oftermals
Habt Ihr auf dem Rialto mich geschmäht
Um meine Gelder und um meine Zinsen;
Stets trug ich's mit geduldgem Achselzucken,
Denn Dulden ist das Erbteil unsers Stamms.
Ihr scheltet mich abtrünnig, einen Bluthund,
Und speit auf meinen jüdischen Rockelor,
Bloß weil ich nutze, was mein eigen ist...“
( William Shakespeare)
Beklemmend ist der Gang durch das Ghetto Venedigs. Die prachtvolle Ausstrahlung der Serenissima sucht man hier vergebens (Bild 16). Touristen begegnen einem deutlich weniger, fehlen hier doch die spektakulären Kunstdenkmäler. Aber das Viertel ist recht authentisch mit seinen finsteren, verworrenen Gassen und den verschachtelten Gebäuden (Bild 17), die wie geheime Verstecke anmuten, die sie zum Teil auch waren. Am Anfang des 16. Jahrhunderts flohen sie hierher, die aus Spanien vertriebenen Juden. Aufnahme fanden sie nicht aus menschenfreundlichen Gründen, sondern weil sie infolge der ihnen überlassenen Geldhandelsgeschäfte als überaus nützlich galten. Viele Handelsstädte folgten diesem Beispiel.
Diese weltoffene und dem merkantilen Vorteil verschriebene Stadt hat „ihre“ Juden, die durch ihre Geldgeschäfte nicht unwesentlich zum dem Reichtum Venedigs beigetragen haben, trotz aller Abneigung und Verachtung nie durch Progrome verfolgt. Das blieb der neueren Geschichte vorbehalten, die dann allerdings den deutschen Stempel trug. Shakespeare hat diese Ambivalenz zwischen Judenhass und humanitärem Mindestkonsens in seiner Komödie „Der Kaufmann von Venedig“ in dieser einmaligen Figur des Shylock zu Ausdruck gebracht. Einerseits die grausamen Rachegelüste des Geldverleihers, mit denen er sich Genugtuung verschaffen will und der Tragik anderseits, die der Mensch Shylock vermittelt: „...Hat nicht ein Jude Hände, Gliedmaßen, Werkzeuge, Sinne, Neigungen, Leidenschaften? Mit derselben Speise genährt, mit denselben Waffen verletzt, denselben Krankheiten unterworfen, mit denselben Mitteln geheilt, gewärmt und gekältet von eben dem Winter und Sommer als ein Christ? Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht? Wenn ihr uns kitzelt, lachen wir nicht? Wenn ihr uns vergiftet, sterben wir nicht? ...“
Der geniale Schauspieler und Regisseur Fritz Kortner brillierte als Shylock im Jahr 1969 in einer legendären Fernsehinszenierung. Auch der Jude Ernst Deutsch hatte nach dem Krieg diese Rolle grandios ausgefüllt. Kortner hatte auf die sich einem aufdrängende Frage, wie er denn, selber Jude, nach dem Holocaust diese Rolle spielen könne, geantwortet, er wollte ein Shylock sein, dessen Hass Schrecken verbreitet und der „von der christlichen Umwelt unmenschlich behandelt, in Unmenschlichkeit ausartet.“ Eine entmenschte Christenheit steht einem entmenschten Shylock gegenüber.
So wird denn der Besuch des Ghettos auch zu einer Begegnung mit der deutschen Vergangenheit (Bild 18), und die Scham wird verstärkt durch den Anblick dieser finsteren Gemäuer, die sich in der Dämmerung der Gassen zu verkriechen scheinen, wie auch sich die hier lebenden Menschen verkriechen mussten, die nirgendwo geliebt, sondern allenfalls geduldet wurden und ständig in der Angst lebten, drangsaliert zu werden.
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Letzte Aktualisierung: 21.11.2005 - © Garten-pur GbR