Berichte aus einem unvollkommenen Garten 3:
Bäume
"Armer Baum! - an deiner kalten Mauer
fest gebunden, stehst du traurig da,
fühlest kaum den Zephir, der mit süßem Schauer
in den Blättern freier Bäume weilt
und bei deinen leicht vorübereilt.
O! Dein Anblick geht mir nah!
und die bilderreiche Phantasie
stellt mit ihrer flüchtigen Magie
eine menschliche Gestalt schnell vor mich hin,
die, auf ewig von dem freien Sinn
der Natur entfernt, ein fremder Drang
auch wie dich in steife Formen zwang."
(Sophie Brentano)
Es soll sehr kleine Gärten geben, die angeblich keinen Platz für Bäume haben. Ich kenne solche kleinen Grundstücke nicht. Selbst wenn ich nur einen Balkon-Garten hätte, würde ich zumindest einen Baum in einem hübschen Terrakottatopf halten.
Bäume unterscheiden sich nicht nur in Habitus und Substanz von den übrigen Pflanzen des Gartens. In Bäumen schlummert eine andere Kraft als in Stauden oder Sträuchern. Selbst klein bleibende, zierliche Baumarten vermitteln diese innewohnende Stärke, die sie lediglich um anderer Vorzüge willen nur etwas zurückgenommen zu haben scheinen – so als hätten sie es nicht nötig, ihr eigentliches Wesen unter Beweis zu stellen. Wer einen filigranen, japanischen Fächerahorn betrachtet, erahnt in ihm seine mächtigen Verwandten. Der zarte Habitus ist lediglich seine besondere, herausragende Art sich zu geben, für die er - allein der Schönheit willen - auf Teile seines Erbes bewusst verzichtet hat.
Die Beziehung der Menschen zu Bäumen hat eine ganz besondere Prägung. Der Baum ist eben nicht nur Nutzpflanze, die man abernten oder in Form von Furnierholz weiterverarbeiten kann. Menschen begeben sich in den Schutz von Bäumen. Sie pflanzen sie als Wächter, Mahner und Verteidiger neben ihre Häuser, an Gedenkstätten oder an Berghänge. Wälder sind mehr als eine Ansammlung von Gehölzen. Bäume haben eine Geschichte, die wir aus Erzählungen kennen, die oftmals weiter zurückreichen als die Erinnerung unserer Vorfahren und deren Ahnen. Viele Baumarten genießen religiöse Verehrung, sind Sitz von Göttern und Geistern oder gelten einfach als Symbol des Ewigwährenden, der Beständigkeit und des Wohlstandes. In der Antike wurden viele Kriegsgräuel mit einem gewissen Fatalismus erduldet. Doch wehe, der Feind legte die Axt an die Ölbäume. Wir sprechen vom Baum des Lebens und schnitten früher das Bekenntnis zu unserer jeweiligen Liebe, als sollte jede von diesen ebenfalls ewig dauern, vorzugsweise in die glatte Rinde der Rotbuche. Leider ist dieser Brauch fast in Vergessenheit geraten.
Deshalb gibt es kein Wenn und Aber: In einen Garten – und sei er noch so klein – gehört ein Baum. Punktum.
So, die Bäume wurden genug gelobt. Es bringt auch wenig, noch tiefer in die dendrologische Mystik einzutauchen. Das konnte Hermann Hesse deutlich besser, als er arg tiefsinnig dichtete
"Ein Baum spricht: Meine Kraft ist das Vertrauen ...
Ich lebe das Geheimnis meines Samens zu Ende,
nichts anderes ist meine Sorge ..."
Entweder springt der Funke der Sehnsucht über, wenn man erwachsene Bäume betrachtet und die Phantasie gibt einem in der Baumschule, in dem Gartencenter ein, wie diese Jungpflanzen eines Tages sein werden, oder man sieht in Bäumen auch weiterhin nur ein Begleitgrün oder lediglich Strukturpflanzen des Gartens und nicht sehr eigenständige und manchmal auch sehr eigenwillige Charaktere. Wer bereits bei dem Kauf eines Baumes an Schnitt- und Stutzungsmaßnahmen denkt (Obstgehölze seien als Nutzpflanzen ausdrücklich ausgenommen), sollte sich lieber für etwas anderes entscheiden. Das, was Japaner mit Bäumen veranstalten – ich mache keinen Hehl aus meiner Abneigung – kommt einer Vergewaltigung der Natur gleich. Wer Kugel-was-auch-immer in seinen Garten holt, animiert die Züchter, der Natur Handschellen anzulegen. Das sind keine Bäume mehr, das sind Pflanzenkrüppel. Der englische Topiary-Garden, das sind die figürlich zurechtgestutzten Buchs- oder Eibensträucher, entstammen einer anderen Tradition, die spielerisch mit Pflanzen und anderen Gartenelementen umgeht. Es ist eine Frage des Geschmacks, diese oftmals manierierten Verzierungen schön zu finden.
Nun wäre ich blind, wenn ich behaupten würde, alle Bäume seien schön, gartenwürdig oder unproblematisch. Im Gegenteil: Ein Baum kann einem ganz gehörig zusetzen und das Gärtnerleben auf eine harte Probe stellen. Wer je einen Essigbaum (Rhus typhina) in seinen Garten holte, merkte meist zu spät an den zahlreichen Ausläufern, was er sich damit angetan hatte. Offenbar trifft dieser Ausbreitungsdrang jedoch nicht auf alle Essigbäume zu. Auch das "Noli me tangere", dieses "Rühr mich um Himmelswillen nicht an", der Angstbegleiter der Robinie (Robinia pseudoacacia), die ebenfalls unter gewissen Voraussetzungen überall aus dem Boden sprießen kann, ist wahrlich keine Empfehlung für diese Baumart.
Die weit verbreitete Abneigung gegen Thuja habe ich hingegen nie verstanden. Es ist geradezu auffällig, wie eifrig irgendwelchen Missfallensäußerungen über diese Konifere zugestimmt wird. Als schämten sich viele Gartenbesitzer, wird allenfalls zugestanden, aus reinen Zweckmäßigkeitsgründen die eine oder andere Thuja gepflanzt zu haben. Eigentlich sei man ja gar nicht, und würde lieber heute als morgen, auf jeden Fall aber bei nächster Gelegenheit ... Obwohl ich Laubbäume generell schöner finde als Koniferen, sind mir Thujen immer noch lieber als Fichten oder gar Tannen. Dass sie bei uns so häufig verwendet werden und dabei besonders auf Friedhöfen sehr beliebt sind (Friedhofsbaum), dafür können diese armen Bäume ja nun nichts. Eigenartigerweise geraten viele Gartenliebhaber in nicht enden wollendes Entzücken bei dem Anblick von schlanken Zypressen (Cupressus sempervirens), wenn sie auf Urlaubsreisen im Süden sind. Die aber sind doch die Bäume der Toten schlechthin und, dicht gesetzt, stumme und finstere Wächter nahezu jeden italienischen Friedhofs.
Toskanische Zypressen,
Was ist mit euch?
Verborgen wie ein dunkler Gedanke,
Für den die Sprache verloren ist,
Toskanische Zypressen,
Bergt ihr ein tiefes Geheimnis?
Sind unsere Worte bedeutungslos?
Das unüberlieferbare Geheimnis,
Tot mit einem toten Volk und einer toten Sprache, und dennoch
Geheimnisvoll lebendig in euch, Etruskische Zypressen.
(D.H. Lawrence)
Bis fast ins Unerträgliche gesteigert hat diese düstere Symbolik der Schweizer Maler Arnold Böcklin mit seinem Bild "Toteninsel".
Die Bäume meines Gartens sind eine recht kunterbunte Mischung, die nicht nur bei mir Kopfschütteln hervorruft. Ich muss gestehen, manche rauben mir sogar hin und wieder den Schlaf und rufen nicht selten Verzweiflungsschluchzer hervor. Von den Zierbäumen will ich hier gar nicht reden. Die hat nahezu jeder engagierte Gartenbesitzer selber und in viel besserer Qualität oder Vielfalt. Aber wer unter den Lesern hat schon eine Pappel-Allee?
Der Vorbesitzer unseres Grundstücks hatte offenbar den Ehrgeiz, eine Landmarke zu setzen. Er pflanzte deshalb vor etwa 60 Jahren entlang der beiderseitigen Grenze eines schmalen Geländestreifens zarte Pappel-Schösslinge (Populus alba). Diese empfanden den Boden offenbar als sehr schmackhaft und kräftigend, wofür sie sich mit einem stetigen Wachstum bedankten. Inzwischen dürften die 12, parallel in zwei Reihen stehenden Pappeln die respektable Höhe von etwa 25-30 m erreicht haben. Der Stammumfang der Mächtigsten beträgt in 1,50 m Höhe immerhin 3 m. Schon von Weitem können wir deshalb Besucher und Wanderer lenken, in dem wir auf die Baumriesen am Horizont hinweisen. Dort wohnen wir.
Was tun diese Pappeln? Nun, zunächst einmal pappeln sie, womit ich sagen will, dass die Atmosphäre unseres Gartens während der belaubten Zeit von einem permanenten Geflüster und Geraschel erfüllt ist. Das klingt lästig, ist es aber nicht. Das Blättergeraune hat etwas Besänftigendes, es ist das hörbare Streicheln des Windes. Bei Sturm steigern sich die Zurufe der Bäume zwar zu einem äußerst aufgeregten Geschnattere, wozu wild mit den Astarmen gerudert wird. Sie würden sich jedoch niemals dazu herablassen, in das angstvolle Geheule und Gezische von beispielsweise Tannen einzustimmen. Allerdings muss man in Kauf nehmen, dass die Pappeln, als seien sie über die sie beutelnden Himmelsmächte mächtig verärgert, mit dicken Zweigen um sich schmeißen. Die alten Gesellen sind eben nicht mehr die Flexibelsten. Man könnte fast von einer dendrologischen Osteoporose sprechen.
Ich wäre aber kein ehrlicher Chronist, wenn ich nicht auch die Schattenseiten dieser Riesen-Familie erwähnen würde. Zuvörderst trocknen sie den Boden stark aus. Ich habe geradezu den Eindruck, dass sie nur darauf lauern, den zu ihren Füßen mühsam kämpfenden Gewächsen das Wasser streitig zu machen. Denn zwischen den Pappeln ist nicht etwa blanker Boden. Im Gegenteil, dort wachsen in trauter Mehrsamkeit Holzbirnen, Apfelbäume, Holunder, Zwetschgen, Eschen, Rosskastanie, Wildkirsche, Ilex, Philadelphus, Eberesche, Rhododendren und – er könnte geradezu die heraldische Pflanze meines Familienwappens sein: Giersch. Gegen diese Bodentrockenheit wegen der Rhododendren anzukämpfen gleicht einer Sisyphusarbeit. Selbst wenn durchdringend gewässert wird, dauert es längstens 3 Tage, bis die schlaff herabhängenden Blätter erneuten Wasserbedarf vermelden. Sehr gut zurecht kommen mit dieser permanenten Unterversorgung hingegen die Geophyten. Wir haben dort inzwischen etwa 1000 Osterglocken vergraben. Manche blühen, die meisten schmücken sich nur mit Laub. Aber was will man auch mit so vielen gelben Blüten? Verlässlicher sind da die Schlüsselblumen (Primula elatior). Sie bekommen im Frühjahr (die Pappeln treiben relativ spät aus) offensichtlich genügend Feuchtigkeit ab. Sehr gut entwickeln sich auch Bärlauch, Salomonssiegel, Einbeere, Hohler Lerchensporn und Eranthis. Völlig unbefriedigend sind dagegen die Hasenglöckchen, die selbst nach vielen Standjahren noch keine einzige Blüte hervorgebracht haben. Vielleicht gibt es aber auch eine blütenlos bleibende Sorte von Hyacinthoides non-scripta. Die habe ich dann.
Trotz des ganz besonderen Charmes der Pappeln – es ist ein Hochgenuss, an heißen Sommertagen in ihrem flirrenden Schatten die Hängematte auszuspannen und sich in einen mittäglichen Dämmerschlaf rascheln zu lassen – überlegen wir, sie fällen zu lassen. Von ihren brüchigen Ästen geht eine nicht unerhebliche Gefahr auch für die Nachbarschaft aus. Das Problem ist allerdings, dass die Riesen wegen des schmalen Grundstücks und der Nachbarsituation keinen Platz zum Fallen haben. Eine weitere Schwierigkeit ist die Weiterverwendung des Holzes. Sie sind einfach zu holzreich, um irgendwo in der Landschaft "verloren" zu gehen, wie manche Gärtner das mit ihren Gartenabfällen zu tun pflegen. Ein Verkauf dürfte ebenfalls scheitern. Pappelholz ist absolut nicht gefragt. Zwar hätte ich genug Material für die Herstellung von etwa 700.000 Wurstbrettchen, wenn das Pappelholz hierfür nicht zu weich wäre. Streichhölzer in mühsamer Heimarbeit daraus zu schnitzen kommt leider ebenso wenig in Betracht, da meine restliche Lebenserwartung hierfür nicht ausreichen dürfte.
Die hübsche, leider aussterbende Sitte, daraus Holzschuhe zu fertigen, beschränkt sich wohl nur auf den Niederrhein und Holland, wo diese Treter Klumpen bzw. Klompen heißen. Die meisten kennen dieses außerordentlich praktische Schuhwerk nur aus der albernen Tulpen- oder Käsewerbung, wenn in ihnen ein holländisches "Meisje" zierlich herumtrippelt. Ich kann allen Leserinnen versichern: Gerade das kann man in Klumpen definitiv nicht. Aber auf dem Laufsteg der Eitelkeiten befinden wir uns ja ausnahmsweise mal nicht selber, sondern allein unser Garten. Deshalb empfehle ich Holzschuhe als ein außerordentlich praktisches Garten-Accessoire, auch wenn ein damit geschmückter Fuß nicht den gängigen Schönheitsidealen entspricht. Man bekommt in ihnen jedoch absolut keine Schweißfüße, sie sind nach dem "Einlaufen" sehr bequem und ganz besonders zweckmäßig bei Grabearbeiten mit dem Spaten. Mit Klumpen tritt sich das Spatenblatt mühelos selbst in den zähesten Boden. Ein ballettähnlicher Spitzentanz ist mit ihnen zwischen den Stauden allerdings sehr schlecht möglich. Hervorragend ist dagegen ihr Wirken, wenn im Gemüsebeet zwischen den Saatreihen ein Pfad getreten werden soll. Zugegeben, bis Holzschuhe gut sitzen, dauert es eine Weile. Die Innenseite muss erst spiegelglatt gelaufen sein, damit die wunden Stellen des Fußes nicht weiter gereizt werden. Als solche erkennbare Anfänger und weinerlich veranlagte Menschen tragen Klumpen mit einem Lederriemen. Sind die Füße erst abgeheilt und hat sich eine kräftige Hornhaut auf dem Widerrist gebildet, dann mag man die Holzschuhe nicht mehr missen und möchte sie Tag und Nacht tragen, was allerdings an diversen familiären Widerständen scheitern dürfte. Irgendwo muss noch ein einzelner Klumpen von mir aus meinen Kindertagen herumliegen. Er ist etwa Handteller groß.
Gut, diese Verwendungsmöglichkeit wäre für mein Pappelholz theoretisch gegeben, wenn ich einen Holzschuhmacher zur Hand hätte und etwa 5000 Abnehmer. Man sieht, ich befinde mich in einem argen Dilemma. Aber vielleicht entdeckt die Pharmaindustrie eines nicht so fernen Tages die antikarzinogene Wirkung von Pappelholz. Dann bin ich schlagartig Millionär.
Weitere Problemkinder des Gartens sind die Pflaumenbäume, da sie recht lästige Ausläufer treiben. Ausgraben ist zwecklos. Dann wandern sie halt in eine andere Richtung. Ich schneide sie nur noch oberirdisch ab. Heimtückischer sind die Birnen. Die Holzbirnen (Pyrus pyraster) bilden lange, feste Dornen, die höllisch verletzen können. Die beiden großen Tafelbirnen (die Früchte der einen sind aufgrund ihres völlig aromafreien Geschmacks nur für Tafeln der Amseln und Igel geeignet) sind offenbar auf Wildbirnen veredelt. Die Unterlage treibt überall lustig und dornig aus und kann einem die Arbeit schon arg verleiden. Möglicherweise handelt es sich aber auch nur um eine gezielte Widerborstigkeit, da ich beide Bäume als Rankgerüst für Clematis, Rosen und Kletterhortensie benutze. Ich hätte sogar Verständnis dafür. Ich fühlte mich auch missbraucht.
Ebenso raumgreifend verhalten sich Holunder und Flieder. Der eine streut seinen Samen verschwenderisch aus und sorgt so für eine überreiche Nachkommenschaft – Hermann Hesses Baum-Verse "Ich weiß nichts von den tausend Kindern, die in jedem Jahr aus mir entstehen ..." treffen hier in vollem Umfang zu – der andere betont seine Präsenz durch Ausläufer, die kaum beherrschbar sind. Wie vornehm und "alt-herrlich" wirkt dagegen unser über 50 Jahre alter Walnussbaum (Juglans regia). Er ist sich selbst genug und gewährt uns nur ein über das andere Jahr eine passable Nussernte. Damit wir nicht den Respekt vor ihm verlieren, haben diese Nüsse eine so harte Schale, dass eigentlich nur ein Vorschlaghammer als Nussknacker in Betracht käme. Im vergangenen Winter mussten wir unserem Herrn Nussbaum einen größeren Ast kürzen. Er verschattete die Terrasse einer Nachbarin allzu sehr. Man sollte eine Walnuss tatsächlich nicht im Winter beschneiden. Er weinte so herzerweichend über viele Wochen, dass wir meinten, um sein Leben bangen zu müssen. War natürlich alles nur Anstellerei. Männer sind so.
Letzte Aktualisierung: 1.3.2005 - © Garten-pur GbR