Wann sind Gehölze bei uns heimisch?

Eine kritische Betrachtung



Intention: Mit diesem Artikel möchte ich einen Gedankenaustausch zu einem vielgenannten Begriff, dem der "heimischen" Gehölze, anregen. Keinesfalls ist es meine Absicht, Gehölze wie die Kornelkirsche, die in Europa seit langem wild vorkommen, gegen andere, vorwiegend im Gartenbau verwendete Gehölze aus fernen Ländern auszuspielen. Eine solche Diskussion wäre unfruchtbar, da sie auf Emotionen beruht und daher zu keinem sinnvollen Ergebnis kommen kann.

Ja, ja, beim Ruf nach heimischen Gehölzen laufen die Gemüter heiß. Ich möchte allerdings versuchen, diese Problematik abseits von Emotionen auf Basis der inhaltlichen Aussage zur Diskussion zu stellen. Wie oft rufen engagierte Personen dazu auf, wieder die "heimischen" Streuobstwiesen zu forcieren. Aber genau diese Streuobstwiesen sind ja jahrhundertelang gepflegte und gewachsene Kulturlandschaft und in der uns bekannten und soviel gepriesenen Form nunmehr ökologisch wichtig (sehr hohes Tierartenaufkommen) und als "heimisch" angesehen. In der ureigensten Bedeutung des Wortes aber wären sie sicher nicht heimisch. Wo also setze ich jetzt den (vernünftigen) "time mark", bzw. ist es überhaupt sinnvoll, einen solchen generell und "über den Kamm geschoren" festzulegen?

Zu meinem Lieblingsbeispiel - die Edelkastanie (Castanea sativa): Als ihre natürliche Verbreitung wird im Allgemeinen die französische Mittelmeerküste, die Schweiz, Österreich, der Balkan und der Kaukasus angegeben. Auch Vorkommen im Appennin zählen dazu. In fast jedem Buch findet man hier andere Angaben. Das eine Werk nennt Nordafrika als Heimat, ein anderes verneint französische Vorkommen und solche auf der iberischen Halbinsel als natürlich. Wieder ein anderes führt die Römer als die Verbreiter der Castanea sativa in unseren Breiten an. Bronzezeitliche Funde beweisen aber, dass Edelkastanien im nördlichen Alpenraum schon wuchsen, lange bevor die Römer kamen - obgleich letztere Esskastanien sehr wohl propagierten. Sie haben diese faszinierenden Bäume bei uns also nicht eingebürgert. Reine Bestände existieren auch in Deutschland.

In der Südsteiermark gibt es ausgedehnte Laubmischwälder mit sehr hohem Castanea sativa-Anteil. Diese Bestände werden in der Literatur (auch in wissenschaftlicher und in Lehrbüchern) als "ursprünglich" bezeichnet. Verbreitet findet man aber auch den Hinweis darauf, dass aufgrund der Bedeutung der Edelkastanie als Nahrungsmittel  (Grundnahrungsmittel vor allem für die arme Bevölkerung) und der damit zwangsläufig zunehmenden Verbreitung durch den Menschen in den vergangenen Jahrhunderten eine eindeutige Identifizierung des Naturstandortes bzw. der Naturvorkommen wahrscheinlich nie 100-prozentig geklärt werden kann.

Wenn ich jetzt z. B. in der Südsteiermark eine Edelkastanie pflanze, pflanze ich dann ein heimisches oder ein exotisches Gehölz? Die Meinungen könnten unterschiedlicher nicht sein. Einige werden hier auf Basis xenophober Einstellung argumentieren, andere wissenschaftlich, viele gefühlsmäßig ...

Viele dieser Fragen nach "ursprünglich heimisch" können also wahrscheinlich gar nicht eindeutig geklärt werden. Wobei so Ursprüngliches in unserer heutigen Kulurlandschaft manchmal sogar schon wieder exotisch anmutet - wie eben auch die Edelkastanie nördlich der Alpen einen südländischen Eindruck vermittelt - und die Kulturlandschaft wieder etwas neues "Heimisches" geschaffen hat.

Einen guten Ansatzpunkt bietet dafür nach meiner Meinung die Definition von "Wildgehölzen". Prof. Dr. Kiermeier (Weihenstephan) definiert sie als jene Formen, die sich ohne Zutun des Menschen über längere Zeiträume hindurch entwickelt und die ohne direkten oder indirekten Einfluss des Menschen in einem bestimmten Bereich - in unserem Fall Mitteleuropa - auf Dauer Fuß gefasst haben (Definition sinngemäß zitiert aus der Einleitung des Buches "BdB - Handbuch der Wildgehölze" von Peter Kirmeier).

In der Botanik gilt wiederum das Jahr 1492 als "time mark". Es ist das Jahr der Entdeckung Amerikas. Dadurch wurde einem Zustrom neuer Pflanzen Tür und Tor geöffnet. Diese ab 1492 nach Europa gebrachten Arten werden als Neophyten bezeichnet, jene, die schon davor den Weg zu uns fanden, als Archäophyten.

Beide Aspekte fließen ineinander. Nicht allen Neophyten gelingt es, sich dauerhaft in unseren Breiten zu etablieren, indem sie sich wie die einheimischen Wildpflanzen an das Klima anpassen. Ausnahmen bestätigen jedoch die Regel: Der Japanische Staudenknöterich (Fallopia japonica) z.B. meisterte die Situation so gut, dass er zur Plage wurde. 

Laut Brockhaus sind Neophyten diejenigen Pflanzen, die seit der letzten Völkerwanderung (3.-5. Jahrhundert n. Chr.)  oder später zu "uns" gekommen sind. Damit wäre die Edelkastanie eindeutig in Mitteleuropa auch nördlich der Alpen heimisch.

Die bei uns überall bekannte Rosskastanie (Aesculus hippocastanum) allerdings kam im Tertiär in Mitteleuropa vor. Sie trat dann aber aufgrund der Eiszeit einen Rückzug nach Süden an. Dort fand sie in Bulgarien, Albanien und Nordgriechenland in Gebirgstälern ihr zusagendes Terrain. Doch sie schaffte es nach der Eiszeit nicht mehr aus eigener Kraft, die Reise nach Norden anzutreten. Die Samen sind ja für die Windverbreitung ungeeignet, und auch tierische Verbreitungshelfer für größere Distanzen stellten sich nicht ein. Und so dauerte es bis ins 16. Jahrhundert, dass sie durch Menschenhand wieder nach Mitteleuropa zurückkam.

Demnach wäre der uns allgegenwärtige und bei den Kindern so beliebte Baum bei uns nicht heimisch. Man sieht, es ist nicht einfach!

Ich möchte nochmals darauf hinweisen, mit diesem Beitrag nicht, wie Eingangs erwähnt, die Pflanzung von in Mitteleuropa heimischen Gehölzen gegen jene von wahrhaften Exoten auszuspielen, sondern ich möchte eine Diskussion anregen, ob ein solcher "time mark" überhaupt sinnvoll bzw. nötig ist.

Unabhängig davon sollten wir alle darauf achten, in unseren Gärten Gehölze nicht nur nach gärtnerisch-optischen Kalkülen zu pflanzen, sondern auch deren Nutzen für die Tierwelt als mindestens gleichwertigen Aspekt heranziehen. Das eine muss nicht immer das andere ausschließen.

Ein Meinungsaustausch zu diesem Artikel kann im Gehölzeforum (Arboretum) von Garten-pur betrieben werden.

 - Text und Bilder © 18.5.2004

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Letzte Aktualisierung: 23.2.2015  -  © Garten-pur GbR