Der Gartenblog von Nick
08.08.2014
Fehler
Ich irre, also bin ich
Eine Uraltfreundin, die mich um Ratschläge bezüglich ihres knackeneu anzulegenden Gartens bat, wollte ich ungefragt davor bewahren, dieselben ein- und auch gerne mal mehrfältigen Dummheiten zu begehen wie ich in den verstrichenen Jahren. Eines memorablen Tages, wir waren gerade am Telefon und redeten über Pflanzabstände, sagte sie, hörbar augenzwinkernd: "Ach Nick, lass mich einfach meine Fehler machen. Du hattest schließlich auch die Chance dazu."
Was für eine Aussage, einfach mal so aus dem Ärmel geschüttelt! Ich hatte die Chance, Fehler zu machen. Sapperlot, darauf muss man erst mal kommen.
Ich blätterte in meinem geistigen Karteikasten mit der Aufschrift „Garten: Beschämend". Etliche Müsterchen davon fanden bereits Eingang in die vorherigen Grüntöne-Texte, andere habe ich mir noch vorbehalten, den Rest werde ich verschweigen, und wenn man mich totschlüge.
Nehmen wir eines der Vorbehaltenen. Ich hatte Viola cornuta „Black Jack" in eine Multitopfplatte pikiert - 64 waren es vermutlich - und diese mit schön durchsichtigem Deckel in einen meiner Kalten Kästen gestellt. Nun ist die Bezeichnung „kalt" insofern irreführend, als es an einem heißen Maitag auch dort ganz schön brutzeln kann. Als ich abends nach der Arbeit bei den „Hach, die sind so toll und ich hab so viele davon!"- Violen nach dem Rechten sehen wollte, war da ein angeschmolzener Plastedeckel, darunter zwei von der Schippe gesprungene Schwarze Jakobs. Die Multitopfplatte selber sah aus wie einem Dali-Gemälde entsprungen. (Sie liegt übrigens immer noch irgendwo im Gartenhaus. Als Mahn- und Stolpermal.) So was hatte ich zum letzten Mal gesehen, als ich winters eine LP gekauft und die plastikeingetütet im Zug an die bullernde Heizung gelehnt hatte. Chance?
Nun. Ich hatte 62 Schwarzveilchen und eine Multitopfplatte samt Deckel weniger. Die Überlebenden wollten sich nicht versamen, also hatte ich unterm Strich gar nix mehr. Vorerst. Unerwartet griff jedoch der Gärtnerschutzengel ein, der fast so gut arbeitet wie derjenige, der neben dussligen Autofahrern herfliegt und ins Steuerrad greift. Liebevollerweise hob er einige Samen auf, legte die drei Jahre später sorgfältig hin, sorgte für Wasser und günstige Verhältnisse, und jetzt schwarzäugeln die überall. Ergo ergaben sich draus anderthalb Chancen, genannt Erkenntnisse: Traue niemals einem Kalten Kasten, hingegen - wenn du gerade vertrauensselig drauf bist - desto mehr dem Schutzengel, genannt „zufälligerweise manchmal begünstigende Natur".
Nichts ist gähnender als solche Uraltschallplatten wie: „Wir lernen nie besser als aus eigenen Fehlern. (Noch nicht zu Ende:) Die werden wir, je nach Lernresistenz, fast garantiert nie mehr begehen." Aber es geht ja weiter. Zum Beispiel mit dem netten Fehler-Begleitumstand, dass man sich in harmlosen Fällen vor Lachen über seine eigene Dödligkeit auf den hoffentlich moosigen Boden werfen kann. Wie damals bei den Steckzwiebeln, die alle super gediehen, bis auf die eine halbe Reihe, die partout keine Anstalten machen wollte, sich auch nur irgendwie zu regen. Schlimme Mikro-/Makroorganismen, ungünstige Bodenverhältnisse, alles zog ich in Betracht. Fast alles. Dass ich tatsächlich imstande war, sie mit konsequenter Regelmäßigkeit verkehrt herum einzustecken, wäre mir bei aller Fantasie nicht eingefallen. Lachende Bewegung ist gesund, insofern durchaus als Chance zu betrachten.
Nun zu etwas ganz anderem und zwar Fehlern, die im oben erwähnten Karteikasten gar nix zu suchen haben, da ihnen jedes Beschämende fehlt. Außer, dass mir in diesem schreibenden Moment keiner davon in den Sinn hüpfen mochte, was mir immerhin gerade den Meta-Lacher des Tages bescheren konnte.
(Inzwischen sind sowohl Lacher als auch grübelnde fünf Minuten vergangen. Bin wieder voll da.) Dass ich zum Beispiel zu faul war, eine autschrosa Digitalis im blau-Weißen Bereich zu entfernen, bevor da munter bienenhummelnd kreuzverunreinigt wurde. Jetzt habe ich dank meiner fehlerhaften Faulheit nebst den ursprünglich ausgesäten unbefleckt weißen auch solche mit dunkelstvioletten Punktgebilden im Kelch. Hätt man das mendelig bewusst angestrebt, hätt's nie und nimmer geklappt. Oder die Tatsache, dass ich es bei aller noch so verkrampften Mühe und Selbstzeigefingerei nach etlichen Jahren immer noch nicht schaffe, restlos alle Kartoffeln zu ernten. Die Übersehenen treiben im nächsten Jahr munter vor sich hin und bescheren mir Überraschungsernten. Das kommt nicht immer zupass, aber letztes Jahr rettete es mich vor völliger Kartoffellosigkeit - mein Pflanzerdäpfel-Zulieferer hatte mich nämlich schnöde vergessen.
Ja, doch, meine Telefon-Freundin lag mehr als richtig. Noch richtiger, als sie überhaupt beabsichtigt oder geahnt hatte.
Wenn es etwas gibt, das einem Menschen, der Perfektion anstrebt, drei Pteracantha-Äste zwischen die Beine wirft, dann ist das die Flora. Da kannst du alles oberrichtig, hyperkorrekt und auf den Punkt genau machen, der stinkkommune Rhabarber will bei dir einfach nicht. Warum? Keine Ahnung. Oder die ganze Planerei. Mit den Jahren, der wachsenden Erfahrung und dem angesammelten Wissen müsste sie eigentlich die erwarteten Früchte tragen. Tut sie. Nach dem Wahrscheinlichkeitsprinzip. Oft, korrigiere: meist, grätscht irgend so ein zickiger, unvorhersehbarer Faktor rein. Nicht nur mir geht es so, das würde ja einiges erklären. Nein, auch etliche Profis, denen dank ihrem Wissen und der jahrzehntelangen Beschäftigung mit dem wachsenden Grün schon die blutrote Fingerhirse aus den Ohren wächst, ereilt dasselbe Schicksal. Irgendwann stehst du davor, kannst nur noch mit den Schultern zucken und ehrlich-offen eingestehen: „Keine Ahnung / Das wusste ich nicht / Hm. Seltsam / Wie blöd aber auch".
Man könnte sich nun auf den Boden werfen, die Haare raufen, mit den Beinen strampeln (habe ich schon getan) und das ganze Gedöns in die Luft jagen. Oder aber die - zugegeben geschickt camouflierte - Chance darin sehen. Perfektion ist eine Asymptote. Auch so eine Uraltschallplatte. Ist aber deutlich wahrer als die obige.
Ich bin. Das allein ist schon ein Glück. Dass ich irren darf, nein, zwingenderweise werde, ist die Chance schlechthin.
Danke, Nadja.
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